Corona: Falle und/oder Chance?
Am 11.November 2020 veranstaltete die Sozialgenossenschaft väter aktiv eine Online Konferenz zum Thema “Corona eine Falle und/oder eine Chance? – die Vereinbarkeit von Familie und Beruf während und nach Corona für Mütter und Väter“. Zu Beginn berichteten drei Väter von ihren Erfahrungen während des ersten Lock Down.
Raffaele Virgadaula, arbeitet in Teilzeit bei väter aktiv, ist freiberuflicher Psychologe und DJ und betreut gemeinsam mit der Mutter das Kind 50:50 in zwei verschiedenen Haushalten. Obwohl das Dekret dies auch weiterhin erlaubte, war die Umsetzung in der Praxis doch oft eine Herausforderung für Eltern und das Kind.
Christian Fink, Mutter und Vater arbeiten jeder 75% Teilzeit und betreuen jeweils an drei Nachmittagen das gemeinsame Kind. Während des Lock Downs war der Bereich Home schooling eine besondere Herausforderung, welchen er nach einiger Zeit „halbe-halbe“ gänzlich übernommen hat. Für die Söhne von Stefan Knapp, Bereichsleiter in einem Logistikunternehmen, der oft eine Woche im Monat im Ausland unterwegs war, war es ungewohnt den Papa nun die ganze Zeit zu Hause zu haben. Trotzdem er sich schon vor Corona einen halben Wochentag pro Woche für Kinder Elternzeit genommen hat. Er hat genossen während des Lock Down auch am Wochenende mehr Zeit für Partnerschaft und Familie zu haben. Mitnehmen möchte er weniger herumzureisen, flexibler auf Unvorhergesehenes zu reagieren und er wünscht sich, dass auch andere Väter die vorhandenen Möglichkeiten mehr Zeit mit Kindern und Familie zu verbringen, nützen.
Auch in der Zeitung Ypsilon der österreichischen katholischen Männerbewegung berichten Väter, dass sie mehr über die Wünsche und den Alltag ihrer Kinder erfahren haben, mehr über Kochen, Essen und Fernsehen diskutierten und ganz viel gemeinsam gesportelt und gebastelt wurde. Ein Vater hat das Kinderzimmer um 2 € Taschengeld pro Tag von den Kindern für ein ungestörtes arbeiten im Home office „gemietet“.
Anschließend fasst Michael Bockhorni, Geschäftsführer von väter aktiv die Studien- bzw. Umfrageergebnisse zusammen. Das deutsche Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung z.B. kann auf Grund der von ihm erhobenen Daten in seiner Studie „“Eltern während der Corona Krise: zur Improvisation gezwungen” keine Retraditionalisierung feststellen. Die elterliche Aufgabenteilung war bereits vor der Krise überwiegend traditionell und die Geschlechterunterschiede bei der Zeitverwendung für Haus- und Familienarbeit sind während des Lock Downs geringer geworden. Der Väteranteil in der Familienarbeit stieg von 33% auf 41% an. Väter in Kurzarbeit leisten mit 8,1 Stunden etwa so viel wie die Mütter im Durchschnitt. Väter, die im Home office oder beim Arbeitgeber vor Ort arbeiteten, leisteten mit 5,5 bzw. knapp 5 Stunden deutlich mehr Familienarbeit als vor der Corona Krise.
Pietro Biroli von der Universität Zürich hat im Artikel “vite da quarantena (Leben in der Quarantäne) Studien aus Italien, Großbritannien und den USA ausgewertet, wie sich Männer und Frauen während der Quarantäne Hausarbeit und Kinderbetreuung teilten. Gemeinsam mit anderen Forscher_innen stellten sie in allen drei Ländern einen Anstieg der Zahl der Paare fest, die sich die Betreuung ihrer Kinder während der Quarantäne zu gleichen Teilen teilten (um 17 Prozentpunkte im Vergleich zur Zeit vor der Quarantäne).
Titan Alon spekuliert, dass dieser (COVID) Schock ähnliche Veränderungen am Arbeitsplatz und in Bezug auf Geschlechternormen mit sich bringen könnte, wie sie nach der Einführung des Vaterschaftsurlaubs eingetreten sind. Auch Claudia Hupkau und Barbara Petralongo vom IZA in Berlin kommen zum Schluss, dass Frauen einen erhöhten Aufwand für die Kinderbetreuung hatten, aber in einem beträchtlichen Teil der Haushalte Väter, die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung übernommen haben. Zum Abschluss berichtete er von den Ergebnissen der väter aktiv Umfrage in Südtirol, nach der sich der Anteil der Väter, welche die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung übernommen haben, verdoppelt hat.
Anna Hehenberger M.A. vom momentum-institut in Wien, stellte die Ergebnisse der Studie “Österreichs Familien strampeln durch die Corona Krise” vor. Bei der von SORA durchgeführten Umfrage bei über 500 Eltern ergab sich sogar eine Verzehnfachung des Anteils von Vätern mit Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung (2 -> 23%).
Sie wies auch auf das Problem von Familien hin, bei welchen beide Eltern berufstätig sind und von welchen 15% im ersten Lockdown ihr Kinder zeitweise unbeaufsichtigt zu Hause lassen mussten. Diese Zahl verdoppelte sich, wenn beide Eltern außer Haus arbeiteten.
FH-Prof. Mag. Dr. Eva Fleischer vom Department für Soziale Arbeit am Management Center in Innsbruck berichtete am Beginn ihres Vortrages “Care in Zeiten von Corona – Neuausrichtung oder Zementierung der Geschlechterrollen“ vom Care Manifest www.care-macht-mehr.com, denn auch die Pflege von älteren Angehörigen darf bei dieser Diskussion nicht aus dem Fokus geraten. Berghammer und Zartler diagnostizieren eine Verschärfung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern durch den ersten Corona Lock Down, welcher zu einer Verstärkung der geschlechtsspezifischen Zuständigkeiten bei der Kinderbetreuung führt. Allerdings verbringen bestimmte Gruppen von Vätern (die auf Teilzeit reduziert haben und im Homeoffice arbeiten) mehr Zeit mit den Kindern bei insgesamt geringerer Gesamtarbeitszeit als Mütter. Alon, Doepke, Olmstead- Rumsey, Tertilt sehen deshalb den Corona Lock Down auch als Chance für verändertes Rollenverhalten. Wirkfaktoren dazu finden sich auf staatlicher, betrieblicher und privater Ebene. Auf staatlicher Ebene sind dies das Angebot an Kinderbereuungseinrichtungen, finanzielle Unterstützungen und die öffentliche Hand als Arbeitgeber. Auf der betrieblichen Ebene sind dies die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Unternehmenskultur sowie die Entgeldgerechtigkeit. Auf privater Ebene sind dies die innerfamiliäre Aushandlungspraxis sowie die Reaktionen des Umfeldes darauf. Ein Lösungsansatz sind die sogenannten „atmenden Lebensläufe“, d.h. eine lebensphasenorientierte Arbeitszeit mit der Möglichkeit von Erwerbsunterbrechungen, Arbeitszeitreduzierungen etc. durch Arbeitszeitkonten für beide Elternteile.
Silvia Vogliotti vom Arbeitsförderungsinstitut Bozen stellte in ihrem Vortrag “Vereinbarkeit Familie & Beruf in Coronazeiten: Neue Belastungen für die Mütter oder neue Herausforderungen für die Väter?” fest, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Italien nie eine leichte Aufgabe war bzw. ist. Dies führt zu einer niedrigen Erwerbsquote von Frauen bzw. zu einer hohen Kündigungsquote von jungen Müttern. Ebenso ist die Verteilung von Familien- und Hausarbeit zwischen Männern und Frauen sehr ungleich verteilt (lt. ISTAT 2 Stunden 16 Minuten zu 5 Stunden 39 Minuten). Während des ersten Corona Lock Down im Frühjahr hat sich diese Kluft bei der Kinderbetreuung (80:90) und beim Einkaufen (11:12) verringert, beim Kochen (43:83) und beim Putzen (41:68) aber blieb sie weiterhin groß. 60% der Mütter geben an in dieser Zeit keine Hilfe von ihrem Partner erhalten zu haben. Dies hängt unter anderem auch mit der noch immer sehr auf geschlechter-stereotypen ausgerichteten Erziehung (siehe Spielzeug) zusammen. Es braucht daher positive Vorbilder für Väter sowie eine Verlängerung der bezahlten Elternzeit (speziell für Väter), Teilzeitwartestände, flexible Arbeitszeitmodelle inklusive Home office und insgesamt eine karenzfreundliche Unternehmenskultur.
Gleichstellungsrätin Michela Morandini in Südtirol stellte in ihrem Vortrag“Vereinbarkeit Familie und Beruf in Südtirol: Fälle aus der Praxis” fest, dass im vergangenen Jahr fast 30% ihres Klientel Männern waren, allerdings zumeist wegen Mobbing und anderen Themen. Sie ging dann auch auf die vorher erwähnten Kündigungen von Müttern und Väter innerhalb des ersten Lebensjahres des Kindes ein. Bei Vätern ist der Hauptgrund (78%) ein Betriebswechsel, wobei unklar ist, ob Väter dies auf Grund der neuen Familienverhältnisse (z.B. kürzere Fahrzeiten, flexiblere Arbeitszeit) machen, ohne diese Gründe explizit auf dem Fragebogen anzukreuzen. Wie auch schon Silvia Vogliotti weist sie auf die geringe Absicherung von prekär Beschäftigten hin. Bei einem zweiten Lock Down plädiert sie für Betreuungsangebote bei „Schulschließungen“ sowie eine Sicherung der Dienstleistungen für pflegende und betreuende Familienangehörige hin.
Prof. Marjaana Gunkel PhD für Organisation und Personalmanagement an der Freien Universität Bozen bietet in ihrem Referat „Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Zeiten von Corona“ einen Einblick in die Situation ihres Heimatlandes Finnland an. Dort stieg das Wohlbefinden während des Lock Downs im Frühjahr an!Positiven Auswirkungen waren insbesondere bei den Eltern mit Schulkindern erkennbar, obwohl es auch dort Home Schooling und Home Office gab. Allerdings zählt Home Office in Finnland schon lange zur Normalität und auch die Schulen verwenden seit langem internetbasierte Medien als Lerntools. Kinder sind schon ab der Grundschule damit vertraut und sind auch mit dementsprechenden Geräten ausgestattet. Ganz wesentlich ist aber die ausgeglichenere Rollenverteilung in Bezug auf Kindererziehung und -betreuung und Hausarbeit von Müttern und Vätern. Ein großer Anteil der Frauen arbeitet Vollzeit und dies ist auch in der Gesellschaft akzeptiert. Die Kinderbetreuungs-angebote sind daher gut ausgebaut. Männer haben das gleiche Recht auf Elternzeit wie Frauen und nehmen sie auch in Anspruch.
Zum Abschluss präsentierte Michael Bockhorni einige Überlegungen zu einem möglichen Projekt im Rahmen der EUREGIO. Dabei könnten einerseits mittels repräsentativer Erhebungen die Realität der Familien in ihrer Vielfalt in der spezifischen Betriebs-und Wirtschaftsstruktur dieses Raumes erhoben werden. So liegen aus dem Trentino laut Prof. Barbara Poggio von der Universität Trient keine Zahlen vor. In Interviews soll mehr Erkenntnis über „Verhandlungspraxis“ zwischen den Eltern sowie dem Arbeitgeber gewonnen werden und welche Faktoren darauf positiv wie negativ Einfluss nehmen. Dadurch soll der Retraditionalisierung nach der Geburt des ersten Kindes gegengesteuert werden.
Auf der Ebene der Unternehmen bzw. Betrieben soll einerseits mittels Organisationsanalysen als auch durch die Aufbereitung vorhandener Best practise Beispiele mittels einer Datenbank Vorbehalte abgebaut, Hindernisse beseitigt und Erfahrungswissen zur Verfügung gestellt werden. Im Bereich der öffentlichen Verwaltung sollen erfolgreiche „Väterprojekte“ einzelner Akteure (z.B. Südtiroler Sanitätsbetrieb) in anderen Bereichen (z.B. Landes-, Bezirks- und kommunale Ebene) umgesetzt werden. Mit Väterportraits aus und Gender Werkstätten in allen 3 Ländern soll eine entsprechende Sensibilisierung erreicht werden.
Zum Abschluss gab es eine angeregte Diskussion mit den Vertreterinnen von Familienagentur, Katholischen Familienverband und der Plattform für Alleinerziehende sowie den Gästen aus Rom, Deutschland und Ungarn. Die ganze Online Tagung ist hier zu sehen.
Präsentationen:
- Michael Bockhorni
- Anna Hehenberger (momentum)
- Prof. Eva Fleischer (MCI)
- Silvia Vogliotti (AFI)
- Michela Morandini (Gleichstellungsrätin)
- Prof. Marjaana Gunkel (Freie Universität Bozen)