vom Mann zum Vater
Online Vortrag mit Dr. Antonio Pellai (Psychotherapeut, Mediziner, Forscher im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesen / Universität Mailand) am 18.3.2021
Die Väter haben während des Lockdown eine zunehmend wichtigere Rolle gespielt: sie haben sich mehr in die Elternschaft eingebracht, nicht nur in Bezug auf die Zeit, sondern auch auf die Qualitätder Beziehung zu den Kindern.
Vor den 1960er Jahren hatten die Väter mit ihren Kindern nicht viel zu tun, die Fokus der Väter war nach außen gerichtet, arbeitende Väter als Familienernährer, als Repräsentanten der Normen und Regeln der Gesellschaft. Denken Sie an die Familienfotos jener Zeit: starke, unantastbare Väter, die neben ihren Kindern als halsstarrige, unnahbare Soldaten abgebildet sind.
Später, nach 68, beginnen die Väter, sich um ihre Kinder zu kümmern. Sie schieben den Kinderwagen und bringen sich ein, sie stehen in Beziehung mit ihren Kindern. Das Drehbuch des Vaterseins wird zwar noch immer von der Mutter geschrieben, aber es ist ein großer Fortschritt im Vergleich zu früher. Früher waren die Väter während der Geburt des Kindes bei der Arbeit, später zwar im Krankenhaus aber außerhalb des Kreißsaals, jetzt können sie drinnen sein. Die Neurowissenschaft sagt uns, dass der Platz des Vaters im Kreißsaal ist: Die Evolution verlangt von uns, dem Kind so nahe wie möglich zu sein, vor allem am Anfang, weil dies den Vätern ermöglicht, in die neue Rolle des Vaterseins einzutreten. Der Körperkontakt (Bonding) mit dem Babys bewirkt zweierlei Veränderungen im menschlichen Gehirn: Weniger Produktion von Testosteron und mehr von Prolaktin und Oxytocin. Testosteron wird mit sexuellem Verlangen und Aggressivität in Verbindung gebracht. Beides wird durch das Zusammensein mit dem Neugeborenen reduziert. Oxytocin und Prolaktin erhöhen die Zärtlichkeit und die Wahrnehmung von Intimität. Sie erhöhen die Bereitschaft für intime und emotionale Beziehungen. Dies bereitet den Vater auf die Fürsorge für ein kleines und wehrloses Wesen, sein neugeborenes Kind, vor. Im übrigen Reich der Lebewesen kann der Vater nur ein Befruchter sein. Aber das gilt evolutionär gesehen nicht für den Menschen, wir haben eine transformative evolutionäre Einrichtung, wie wir gesehen haben. Nur wir Menschen brauchen so lange, um zu wachsen, um zu reifen, denn wir Menschen müssen auch kognitiv reifen, nicht nur körperlich. Wir suchen nach Sinn, wir produzieren Gedanken, wir konstruieren eine Individuation, unser eigenes einzigartiges Wesen. Dies ist eine enorme Aufgabe, sowohl für diejenigen, die wachsen, als auch für diejenigen, die sich um sie kümmern, um sie auf diesem Weg zu begleiten. Man(n) ist also ein Paar, nicht allein.
Nicht nur äußerlich ein Vater zu sein, sondern sich zutiefst wie ein Vater zu fühlen. Sehen wir uns nun ein Stück des Films „The Brat / der Bengel“ an. Und wir beobachten die Phasen, in denen sich der Vater von der Distanz zu einer tiefen Vaterliebe entwickelt. Anschliessend liest Antonio Pellai einige Briefe von Söhnen an ihre Väter vor, als sie selbst Väter wurden. Einer von einem Sohn, der seinem Vater sehr nahe steht. Er liest uns auch einen Brief an seinen Sohn vor, in dem er über Freude und Angst spricht und darüber, wie er den Beginn seiner Vaterschaft erlebt hat.
Fragen aus dem Publikum:
- wann endet die Fürsorge?rolle des Vaters? Wenn der Sohn erwachsen ist?
Antonio Pellai: Wir sind für immer Väter, aber unsere grundlegende Rolle liegt in den ersten 20 Jahren, denn in dieser Zeit wird das Kind aus der Phase der Abhängigkeit in die Phase der Autonomie geführt. Wenn ein autonomer Sohn uns um Hilfe bittet, kann er uns um Hilfe bitten, um sie auch wirklich zu bekommen. In Fällen wie der Drogensucht, in denen das Kind um Geld bittet, handelt es sich um ein Kind, das in seinen Funktionen als Erwachsener nicht aktiv ist und die Eltern bittet, es weiterhin in seinen Bedürfnissen zu unterstützen und ihm zu erlauben, in seinem Problem zu bleiben.
- Wie stark sollte die Vorwurf, keine Ausbildung (finanziert) bekommen zu haben, einen Vater belasten?
Antonio Pellai: Als Kind sucht man sich sein Lebensskript nicht aus, man hat keine Entscheidungsautonomie. Lernen, die Vergangenheit in der Vergangenheit zu lassen und zu spüren, dass wir jetzt Handlungsmöglichkeiten haben, in der Gegenwart und in der Zukunft. Ich habe keine Verantwortung für die Eltern, die mich großgezogen haben, aber ich trage Verantwortung für das, was ich bin. Wir sind die Geschichte, aus der wir kommen, aber wenn wir sie mit dem Blick des Erwachsenen betrachten, der beschlossen hat, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, können wir unseren eigenen Weg der Selbstbestimmung gehen und nicht mehr nur das sein, wozu uns das Leben gemacht hat.
- unser Vater war gefühllos, aber der Großvater war fürsorglich.
Antonio Pellai: Jeder geht seinen eigenen Weg, für manche Männer ist das therapeutisch, weil sie eine neue Vaterfigur sehen, und es wird fast zu einer Erlösung. Vielleicht ist es auch eine Frage des Timings. Andere Väter sind wütend, sie fragen sich, warum hast du es nicht mit mir gemacht, was war mit mir los? Und wir reproduzieren auch im Hier und Jetzt ein Leiden, das uns nicht verlassen hat, aber wir verpassen eine Gelegenheit, die Schönheit der Situation zu erfassen. Wenn die Wunde schmerzt, ist es besser, sich gut zu beobachten. Wir wollen der Vater sein, der wir sein wollen, und nicht der traurige Sohn.
- ist es besser, ein “anwesender” Vater zu sein und Fehler zu machen oder abwesend zu sein, ohne Fehler zu machen?
Antonio Pellai: Ein Vater, der anwesend ist, macht eine Menge Fehler. Aber es ist für ein Kind gut, einen Vater als Vorbild zu erleben, der einen Fehler macht, merkt, dass er sich geirrt hat, und sich entschuldigt. Beziehungen sind zerbrechlich aber können auch wieder “repariert” werden.Man muss wissen, wenn man eine Beziehung eingeht, liegt auch sehr in der Verantwortung des Vaters, einen Dialog aufzubauen.
Fragen aus dem Chat:
- Unterscheidet sich die Rolle des Vaters bei der Betreuung von Kindern zwischen Söhnen und Töchtern?
Antonio Pellai: Es gibt Unterschiede, wir lehren das männliche Kind auch, ein Mann zu sein. Bei den Frauen hinterlässt es den Eindruck, dass sie in ihren Partnern all das Gute suchen, das sie in ihrem Vater gefunden haben.
- Werden sie (als Vater) auch manchmal von den Kindern dazu gedrängt, etwas zu tun, was sie nicht mögen oder was sie nicht gut können?
Antonio Pellai: Es ist ein bisschen besser, die Kinder zu verwöhnen, aber sie auch zu anderen Dingen zu ermutigen, weil wir ihnen auch etwas mitgeben können, was wir für wichtig halten, denn wenn man die Kinder sich selbst überlässt, konzentrieren sie sich vielleicht fast ausschließlich auf nicht so wesentliche Fähigkeiten, wie Videospiele und das war’s, oder Tiktok und das war’s. Trotz des Konflikts, der entstehen kann, ist es gut, wenn der Vater mitreden kann, denn manchmal ist es gut für sie, etwas zu tun oder zu vermeiden, weil das, was ihnen gefällt, nicht immer das ist, was gut für sie ist.
- Ich habe vor kurzem einen Sohn adoptiert und frage mich, wie ich für ihn ein Bezugspunkt sein kann und wie er mit der Tatsache, adoptiert zu sein, gut leben kann?
Antonio Pellai: Ein Kind baut sein Sein in der Beziehung auf, ein Kind wird geboren, oder ein Kind kommt, und Mama und Papa werden auch geboren. Wir formen uns gegenseitig und wachsen aneinander. Ihr Sohn wird es nicht bemerken, wenn die Zeit gekommen ist (daß sie Adoptivvater sind), denn er wird von einem Moment auf den anderen da sein und Sie werden die gleichen Herausforderungen wie die leiblichen Eltern erleben. Auch die Schwierigkeiten in der Adoleszenz sind bei adoptierten und natürlichen Kindern sehr ähnlich.
- Unterschiedliche Erziehungsstile zwischen den beiden Elternteilen, wie ist das?
Antonio Pellai: Wenn die Vielfalt in einer gemeinsamen Erziehung eingebettet ist und nicht zu Konflikten führt, ist sie ein Reichtum, eine Ressource, aber wenn sie zu Konflikten zwischen den Eltern führt, verwirrt sie die Kinder.
- Was sagen Sie, wenn Mütter sagen, dass sie am Anfang mit ihrem Neugeborenen allein sein wollen?
Antonio Pellai: Der Vater ist eigentlich ein Gewinn, er ist ein emotionaler Stabilisator. Oft sind viele andere Frauen beteiligt, Großmütter, Tanten usw., aber niemand wie Papa ist ein guter emotionaler Stabilisator für die Mutter. Ich rate daher, von Anfang an als Eltern Paar zusammenzubleiben.